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07.06 / Wohnhaus Bolleystrasse 35, Zürich

Fertigstellung 2011

Planungsteam
Auftraggeber – Prof. Hansjürg Leibundgut
Architektur – agps architecture ltd. / Studie: Marc Angélil, Hanspeter Oester, Reto Pfenninger (PV), Manuel Scholl, Philipp Bollier, Maike Funk, Denise Ulrich (PL) / Projekt: Britta Brauer, Johannes Leibundgut (PL Realisierung), Sämi Konrad, Roger Naegeli (PL Projektierung), Manuel Oswald, Reto Pfenninger (PV), Viviane Weber, Daniele Zeo
Kunst – Blanca Blarer
Kosten und Bauleitung – Renokonzept Bauleitungs AG
Tragwerk – Büro Thomas Boyle + Partner AG
Gebäudetechnik – Amstein + Walthert AG, Mettler + Partner AG
Fotografie – Reinhard Zimmermann

Projektbeschrieb

Ein Haus zum Anfassen

Das Haus B35 ist ein Experiment. Trotz der vielen technischen Neuheiten hinter dem Sichtbeton stehen aber Raum und Material im Vordergrund.

Die Architekten von agps setzen an der Bolleystrasse oberhalb Uni und ETH Zürich einen markanten Stadtbaustein. Am Fusse des Zürichbergs steht das Haus umgeben von grosszügigen Mehrfamilienhäusern aus der Gründerzeit des Quartiers, deren Massstab es aufnimmt. Auch das Gebäude daneben haben agps entworfen. Dass es aus derselben Hand stammt wie das B35, merkt man ihm aber nicht an. Mit dem Nachbargebäude teilt sich das Haus die Parkgarage sowie den Vorplatz zu den Eingängen. Wo nun die beiden Neubauten stehen, erstreckte sich früher ein grosses Wasserreservoir der Stadt und besetzte beide Grundstücke. Die Architekten haben rund drei Viertel des Reservoirs abgebrochen, ein Stück liessen sie aber bestehen und integrierten ihn in den Neubau B35. Auch die rückseitige Mauer der Anlage konnten sie weiterverwenden, sie bildet nun die Stützmauer vor der sich der Garten des Nachbargebäudes erstreckt.

Während die übrigen Bauten im Quartier mit der Hauptfassade zur Strasse ausgerichtet sind, nimmt das B35 eine besondere Stellung ein. Es ist quer zum Hang gestellt und blickt auf den benachbarten Altbau. Das Haus ist aber auch zur Seite auf die Strasse hin orientiert. Da sich die Hauptfassade übers Eck von der Längs- zur Stirnseite hin entwickelt, schaut das B35 zurück über die eigene Schulter zur Stadt. Im Attika strebt der Baukörper zu einer schrägen Dachform auf, die das kompakte Volumen aufbricht und an eine Stirnseite mit Giebeldach erinnert.

Einfach angeschraubt

Die Fassade ist in Dämmbeton gegossen, der sandgestrahlt und mit einer graubraunen Lasur eingefärbt ist. Im Unterschied zum Gebäude daneben, das konventionell konstruiert wurde, hat das B35 keine hohle Wand mit Dämmung unterm Putz. Seine Fassade ist massiv und schwer. Das Haus erscheint als roher Betonkörper, an dem alle weiteren Elemente befestigt sind. Die Installationen müssen nicht versteckt oder aufwändig auf die tragende Schicht zurückverankert werden wie bei einer herkömmlichen Konstruktion. Also schraubten die Architekten Rollläden, Fallrohre und Metallgeländer direkt auf den Beton. Auch die Regenrohre stehen vor der Fassade und kleine Metallgitter, durch welche die Luft dezentral angesaugt wird, glänzen im Licht neben dem dunklen Sichtbeton.

Dank der tragenden Aussendwand, können die Details einfacher gelöst werden – die Konstruktion wird pragmatischer und direkter. «Mit dem Ölschock haben die Wände ihre Unschuld verloren, sie kriegten eine dämmende Haut und sind seither in Schichten aufgebaut», sagt Architekt Reto Pfenninger. Beim B35 sind sie nun wieder ehrlich, weil sie tragen. Die Wand wurde zwar in einem Arbeitsschritt betoniert, sie ist aber nicht durchgängig monolithisch – zwischen innerer und äusserer Schicht sind 12 cm Dämmung eingeklemmt. Das Kerndämmsystem entwickelten die Architekten zusammen mit Misapor. Diverse Belastungstests und Oberflächenversuche waren nötig, um die äussere Schale mit gerade mal 9 cm Stärke auszuführen. Die Mauer ist zwar dünner als bei Minergiebauweise, sie unterscheidet sich aber nicht grundsätzlich von einer Konstruktion mit Energielabel. Sie hätte zwar dank Low-Ex noch schlanker ausfallen können, dies hätte aber eine Sonderbewilligung erfordert, die sich die Architekten ersparen wollten.

Zwei Fenstertypen prägen die Fassaden. Vor den Wohn- und Schlafräumen öffnen Flügelfenster mit herkömmlichen Dreifach-Isoliergläsern die Wand. Daneben stehen festverglaste Fensterflächen in verschiedenen Formaten aus der Betonfassade hervor. Ihre Scheiben spiegeln auffallend stark und schimmern in kräftigem Grün. Sie ziehen sich rund um das Gebäude und lockern das Raster der normalen Öffnungen auf. Die speziellen Sonnenschutzgläser kommen zum ersten Mal zum Einsatz. Die M-Gläser zeichnen sich durch eine besonders gute Farbechtheit im Innenraum aus. Ihr Name leitet sich aus der Kurve der Lichtdurchlässigkeit ab, die in Form eines M verläuft. Aussen sorgen sie für einen farblichen Kontrast zum graubraunen Beton, der sich je nach Lichteinfall verändert.

Fliessende Räume

Im Untergeschoss verknüpften die Architekten den Rest des Wasserreservoirs am Hang mit dem Neubau. Zehn mächtige Pilzsäulen in dunklem Beton prägen den hohen Raum. Die Öffnung, durch die früher das Wasser in den Tank strömte, wurde zu einem kleinen Oblicht umfunktioniert. Ein grosses Fenster zur Strasse markiert die Nahtstelle zwischen alter Substanz und Neubau. In der Halle, wo einst das Nass lagerte, stellen die am Bauwerk beteiligten Firmen ihre Technologien aus. Im vorderen Teil des Untergeschosses wird sich eine Spin-Off Firma der ETH einquartieren, deren Software beim Entwurf des Neubaus zum Einsatz kam. Der hintere Teil des Neubaus steht auf dem Reservoir. Dies führt zu einem Versatz im Schnitt. Im ersten Obergeschoss sind die hangseitigen Räume deshalb überhoch. Da der Grundriss unverändert bleibt, wirken die Räume, als wären sie in die Höhe gezogen worden. So ragt die 60 cm breite Tür zum Badezimmer über drei Meter hinauf bis unter die Decke – eine witzige Verzerrung der Normalität.

Die Geschosse über dem Reservoir sind um den Erschliessungsbereich organisiert. Der Grundriss ist als ein grosser Raum konzipiert, der den mittigen Kern umfliesst. Wandschränke, Küchenmöbel und ein paar Wände grenzen die einzelnen Zimmer ab. Entlang der Fassade bleibt der Raum bis auf das Badezimmer durchlässig. Auch die Wände um Toilette und Bad sind frei zwischen Fassade und Kern gestellt und berühren die Aussenmauer nicht. Schiebetüren schliessen die Lücke dazwischen – teilweise sogar direkt auf die Fensterfront. Die Wohnung betritt man über ein grosszügiges Entrée, das sich zwischen Kern und Fassade aufspannt. Eine randlose Glasfläche öffnet den schmalen Raum in der ganzen Länge. Die Brüstung dient als Sitzbank. Das Glas schimmert leicht grünlich, ein Effekt, der sich bei Kunstlicht noch verstärkt. Die Architekten haben das Sonnenschutzglas deshalb nur im Korridor oder in den Küchen eingesetzt. Das Glas ist nur eines der technischen Experimente im Haus, auf das die Architekten eine gestalterische Antwort finden mussten.

Die direkte Bauweise der Fassade führten die Architekten auch im Innenraum fort. Der geschliffene Anhydritboden zieht sich über die ganze Geschossfläche, die Einbaumöbel sind aus dunkel geölten MDF-Platten, die Wände weiss verputzt. Die Loggia an der Gebäudeecke steht als Glaskörper im Wohnraum. Faltbare Fenster an der Fassade lassen sich bei Bedarf schliessen – der Aussenraum wird zum Wintergarten. Flexibilität und einfache Benutzbarkeit stehen im Vordergrund. Die einfachen Materialien lassen die Technik unter der Oberfläche nicht erahnen. Die Bewohner sollen sich in den eigenen vier Wänden wohl fühlen und nicht zu Statisten einer Hausmaschine wie in Jacques Tatis Villa degradiert werden.

Schräges Dach, schiefes Glas

Im Attika löst sich der Grundriss auf. An zwei Gebäudeecken greift die Betonhülle weiter ins Dach und formt zwei halboffene Raumteile. Dazwischen spannen sich zwei Glasfassaden, die nach innen geneigt sind – eine weitere konstruktive Eigenheit am Haus, die so am Markt nicht erhältlich ist. Sie wurde mit Huber Fenster ausgefeilt. Die Schiebetüren liegen in derselben Ebene wie die Festverglasung. Wegen der Neigung werden sie mit einem Motor angehoben und dann von Hand zur Seite geschoben. Die Fensterflächen sind leicht verrückt zur Gebäudekante und öffnen den Innenraum auf die Terrassen. Von hier geniesst man eine komfortable Aussicht bis zum Zürichsee. Auf der schrägen Dachfläche im hinteren Teil sind die Hybridkollektoren angebracht. Abgesehen davon bleibt die Dachfläche leer, einen Kamin hat das CO2-freie Haus keinen. Das vordere Dach ist in die andere Richtung geneigt und wird vorerst nicht mit Kollektoren bestückt. Sollte die Fläche aber nicht genügen, wäre hier noch Platz um nachzurüsten. Die Architekten liessen im Entwurf an manchen Stellen etwas Luft nach oben. Das Gebäude ist ein Prototyp; nach den Erkenntnissen aus den ersten Messungen wird man vieles lernen und beim nächsten Mal manches redimensionieren können. So meint Projektleiter Johannes Leibundgut, dass die Wärmerückgewinnung aus der Abluft nicht nötig wäre. Die gleiche Wärmemenge könnte mit einer 10 Meter tieferen Erdsonde und einem zusätzlichen Quadratmeter Solarkollektoren auf dem Dach günstiger produziert werden, ist er überzeugt.

Mit dem Haus B35 beschreitet agps Neuland. Das Haus ist ein Experiment, neue Technologien und Konstruktionen begegneten den Architekten in der Planung auf Schritt und Tritt. Vieles war unklar, befand sich noch in den Kinderschuhen oder wurde zum ersten Mal ausprobiert. «Wir sind konstant gegen den Strom geschwommen», meint Leibundgut. Das Experiment B35 verlangte von Architekten, Technikern sowie Bauarbeitern einiges ab und vereinte eine Gruppe unterschiedlichster Spezialisten. Das Team probierte Lösungen aus, verbessert sie und stimmte sie aufeinander ab. «So ein Projekt braucht viel Leidenschaft von allen Beteiligten», sagt Pfenninger. Manch einer sei dabei an seine Grenzen gekommen.

Wie viel Technik hinter der Sichtbetonfassade steckt, zeigt sich dem Betrachter nur an wenigen Stellen. Die Architekten zelebrieren die Technik nicht, indem sie sie zur Schau stellen. Die technischen Raffinessen bleiben im Hintergrund, unter dem Putz und in den Schächten, und prägen den Entwurf nur an einigen Ecken sichtbar. «Für uns Architekten war es eine grosse Herausforderung, zu verhindern, dass das Haus am Schluss wie eine Musterzentrale aussieht» so Pfenninger. Die Architekten wollten keine Maschine bauen, sondern ein Haus, in dem gewohnt wird. Sie mussten also all die Anforderungen aus der Technik in Architektur umsetzen und beide Seiten unter einen Hut bringen. Ein Spagat, der ihnen gelungen ist.

Andres Herzog