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09.05 / Arealentwicklung Kleinbruggen, Chur

Studie, Juni 2009

Planungsteam
Auftraggeber – Priesterseminar St.Luzi, Chur, sowie Stadt Chur
Architektur – agps architecture ltd. / Marc Angélil, Hanspeter Oester, Reto Pfenninger (PV), Manuel Scholl / in Zusammenarbeit mit Raumbureau
Freiraum – manoa Landschaftsarchitekten Tragwerk – Ulaga Partner Bauingenieure
Projektbeschrieb

Welche Urbanität braucht Kleinbruggen?

Das zu beplanende Areal Kleinbruggen inmitten des heutigen Industrie- und Gewerbegebietes von Chur ermöglicht durch die Aufgabenstellung sowie seinen Status als gemischte Zone G4 die einmalige Chance, ein dichtes nachbarschaftliches Quartier zu denken, in welchem Wohnen und Arbeiten in unmittelbarer Nähe möglich sind und somit spezifische urbane Qualitäten geschaffen werden können. Das vorliegende Projekt versteht sich im Rahmen eines Ideenwettbewerbes bewusst als eine Fragestellung und Untersuchung nach der adäquaten Form und Charakteristik des Quartiers innerhalb des vorhandenen Kontextes – welche Urbanität braucht Kleinbruggen?

Kontext

Das Churer Gewerbegebiet ist in weiten Teilen geprägt von einer heterogenen Überlagerung von Gewerbe- und Industriebauten, alten Agrarstrukturen und fragmentarisch eingestreuten Wohnbauten. Das Nebeneinander unterschiedlichster Landokkupation generiert eine eigentümliche Atmosphäre: Grosse Lager- und Versandhäuser für lokale oder internationale Firmen finden sich neben den kleineren und mittleren Produktionsunternehmen des lokalen Gewerbes, großmaßstäbliche und raumkonsumierende  ‚Big Boxes’ generieren im Zusammenspiel mit der Verkehrsinfrastruktur die typischen undefinierten ‚Nicht-Orte’, welche immer wieder durch überraschende Nutzungen ‚dazwischen’ besetzt werden, die neben bestehenden Einfamilienhäusern nicht selten auch rurale Eigenschaften aufweisen. Der Logik der Gewerbenutzungen folgend sind diese Zwischenräume meistens jedoch typologisch gesehen große asphaltierte Umschlags-,  Arbeits- und Lagerflächen, welche eine Art Ausweitung des Strassenraumes bilden und teilweise auch Raum für spontane und ephemere Nutzungen bieten.

In diesem Kontext bildet das Gebiet Kleinbruggen eine Art ‚Auslassung’, ein bis jetzt unbebauter zusammenhängender Grünraum. Die spezifische landschaftliche Qualität mit den drei Tumas sowie dem parkähnlichen Raum des Pulvermühlebaches soll als wichtiger konstituierender und dialektischer Bestandteil des Projektes verstanden werden: Dieses fast szenografisch anmutende landschaftliche ‚Setting’ bildet den räumlichen Rahmen und Hintergrund für die vorgeschlagene Baustruktur auf dem Areal Kleinbruggen.

Zeilen: Gassen und Höfe

Die vorgeschlagene zeilenartige Anordnung von Gebäuden in orthogonaler Ausrichtung zum Parkraum ermöglicht über die Zwischenräume permanente Blickbeziehungen zu dessen Qualitäten und formuliert über diese Referenz eine erste räumliche Identität für die Anlage. Die alternierende Abfolge von zwei unterschiedlich konditionierten Zwischenräumen – Gassen auf der einen sowie Höfe auf der anderen Seite der Bauzeilen - ermöglicht auf einfache Weise eine räumliche Verzahnung mit dem Parkraum als auch vice versa mit dem südlich der Rheinfelsstrasse anstoßenden Gewerbegebiet. Während die Höfe auf der einen Seite eine dichte Begrünung sowie andere landschaftliche Elemente aufweisen sollen und kontinuierlich in den Park übergehen, folgen die ‚harten’ Gassenräume eher der Logik der oben erwähnten asphaltierten Strassenausweitungen des umgebenden Gewerbegebietes. Diese als Sackgassen ausgebildeten Räume werden mit ihrer großzügigen Breite von fünfzehn Metern als eine Art Wohn-, Arbeits- und Aufenthaltsbereiche verstanden, auf welche sich die vielfältig vorgeschlagenen Nutzungen der daran partizipierenden Wohn- und Gewerbebauten ausdehnen und überlagern können.

Urbane Qualität

Die Kernidee des Projektes dreht sich neben der volumetrischen Struktur und deren Relation mit dem bestehenden Kontext prioritär um die Frage der Nutzungen und dem Ausloten einer Koexistenz von Wohnen und Arbeiten und demzufolge darum, wie schließlich eine urbane Qualität entstehen kann, die dem neuen Quartier einen eigenständigen spezifischen Charakter verleiht. Dem scheinbar ungeplanten urbanen Gefüge wird eine rigide und kontrollierte,  jedoch gleichzeitig offene und robuste urbane Form und Struktur entgegengesetzt, welche Eigenschaften des Kontexts übernehmen kann und sich gleichzeitig davon differenziert. Der Beitrag des Projektes liegt somit auch in der Fragestellung, inwiefern Form nach wie vor ein relevantes Mittel darstellt, konzentrierten städtischen Gefügen eine eigene Identität zu geben und gleichzeitig Urbanität zu initiieren. 

Unter dem Begriff Urbanität wird hier das dichte Nebeneinander und Überlagern von Differenzen und Diversitäten des gesellschaftlichen - städtischen Lebens verstanden, welches schließlich für die ‚Produktion des sozialen Raumes’ in mannigfaltiger Hinsicht generierend wirken kann. Entgegen dem modernen Postulat nach Trennung der Funktionen Arbeiten, Wohnen und Freizeit ermöglicht die Anwendung einer spezifisch entwickelten Gebäudetypologie diese Urbanität durch eine nachbarschaftliche Koexistenz von unterschiedlichen Nutzungen - einerseits durch das ‚Vis-à-vis’ über die Gasse oder den Hof, aber auch als Nebeneinander: Durch das bloße Addieren von unterschiedlichen Bautiefen - welche typologisch unterschiedliche Grundriss- und Erschließungsstrukturen aufweisen und die in einem einzigen Gebäudekörper untergebracht sind - werden den einzelnen Gebäudezeilen sozusagen unterschiedliche Programmierungen ‚aufgezwungen’. In diesem Sinne versucht das Projekt mit dem Maßstab der Architektur selber und über die Suche nach einer flexiblen Gebäudetypologie auf die Komplexitäten und Unvorhersehbarkeiten von städtebaulichen Entwicklungsprozessen zu antworten, indem es diese schlicht festlegt und dem Quartier Form und Charakter gibt.

Architektur, Typologie, Nutzungsmischung

Anstatt über Szenarien zu spekulieren, wie sich der Immobilienmarkt betreffend Wohnen und Arbeiten/Gewerbe in den nächsten zwanzig Jahren entwickeln kann, wird auf dessen Unsicherheiten mit einer robusten architektonisch-typologischen Struktur geantwortet, welche der Anlage einen prägnanten Charakter verleiht. Diese kann neben vielfältigen Wohnformen und Büronutzungen in den vier- bis fünfgeschossigen Gebäudeteilen in den vorgesehenen zweigeschossigen Bereichen auch Kleingewerbe- und Wohn-Ateliers bis hin zu kleinen Produktionsbetrieben aufnehmen. 

Das Aneinanderreihen von Volumen mit unterschiedlichen Gebäudetiefen (12m, 15m, 18m und zweigeschossig bis zu 30m) führt zu einer spezifischen Art von ‚knochenförmigen’ Gebäudetypologien. Diese Gebäudetypen werden entlang der Gasse auf eine Flucht ausgerichtet, während die unterschiedlichen Tiefen auf der Hofseite den Raum deformieren – jeder Hof erhält so eine andere räumliche Qualität. 

Diese primäre Struktur in Kombination mit der je Bautiefe unterschiedlichen Positionierung der Erschliessungskerne ermöglicht eine gewisse Flexibilität während der Planungsphase sowie das Potential, gewisse Nutzungen in einer langfristigen Entwicklung zu adaptieren und zu transformieren. Dementsprechend werden die Erschliessungskerne so angeordnet, dass sie sowohl für Wohn- als auch Büronutzung ideal liegen. Dies generiert einerseits spezifische Wohnungen bezüglich der Gebäudetiefen und offeriert andererseits die Möglichkeit großer zusammenhängender Büroflächen. 

Den differenzierten Bereichen innerhalb einer einzigen Gebäudetypologie gemeinsam ist die erdgeschossige Ausrichtung auf den Gassen- respektive Hofraum : Wohnen und Arbeiten – das heißt unterschiedliche nebeneinander liegende Aktivitäten welche sich zu verschiedenen Tageszeiten entfalten - können ein vielfältiges und lebendiges Quartierleben generieren. Die Eingangslobby für einen Bürobereich, daneben eine Kleinbäckerei, Wohnungseingänge mit einer Kinderkrippe, neben Ateliers für kreative Dienstleistungen sowie Reihenhäusern...

Struktur, Ausdruck, Nutzungsflexibilität

Die variierenden Bautiefen innerhalb eines jeden Geschosses eines Gebäudes werden zuerst einmal als zusammenhängende Flächen verstanden, welche durch ein Tragsystem aus Stützen, Balken und Beton-Rippendecken charakterisiert sind. Die Rippendecke wird aus vorfabrizierten Beton-Elementen mit flächendeckendem Ortbetonspiegel erstellt. Das System bietet diverse Vorteile: Der Herstellungsvorgang ist wirtschaftlich und schnell, weil weder Sprießung noch Schalung benötigt werden, die Konstruktion ermöglicht die Überbrückung großer Spannweiten und ist dennoch leicht und verursacht daher nur bescheidene Erdbebenkräfte. Die Erdbebensicherheit ist zusätzlich gewährt indem für die Erschließung in regelmäßigem Abstand Stahlbetonkerne angeordnet sind. Diese sind im Untergeschoss eingespannt und werden so bemessen, dass sie die Erdbebenkräfte aufnehmen können und auf diese Weise das Gebäude stabilisieren.

In den zweigeschossigen Gebäudebereichen mit größeren Bautiefen bis 30 Meter wird ein größerer Stützenabstand vorgesehen, somit können einzelne dieser Bereiche mit großzügigeren, sperrigen Nutzungen besetzt oder auch als kleinere Produktionshallen für Kleingewerbe genutzt werden. Der Logik dieses strukturellen Systems folgend beeinflussen Stützenraster und Rippendecken-Elemente auch die äußere architektonischen Erscheinung der Gebäudetypologien. Vertikale Lisenen mit variierenden Abständen und unterschiedlich hohe Brüstungsverkleidungen aus Betonelementen rhythmisieren und strukturieren den Ausdruck der Fassaden gemäß den unterschiedlichen Nutzungen, Einschnitte und Loggien erzeugen unterschiedliche Porösitäten. Zusätzliche Differenzierungen können verputzte oder verkleidete Ausfachungen zwischen den Lisenen sowie unterschiedliche Farbigkeiten des Betons bewirken.