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21.03 / Entwicklung Gaswerkareal und Brückenkopf West, Bern

Das Gaswerkareal ist mehr als ein weiteres genossenschaftliches Wohnquartier mitten in der Stadt Bern. Seine besondere Lage und die turbulente Geschichte bestimmen das Entwicklungskonzept für die Weiterführung des bunten Nebeneinanders an der Aare.

Offener städtebaulicher Ideenwettbewerb, 4. Rang, 2. Preis, Juni 2021

Planungsteam
Veranstalter – Fonds für Boden- und Wohnpolitik, Stadtplanungsamt, Hochbau Stadt Bern
Architektur und Städtebau – op-arch | Denise Ulrich, Reto Pfenninger, Christian Calle mit Jenni Architektur und Städtebau | Peter Jenni
Landschaftsarchitektur – Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur und Städtebau | Lorenz Eugster, Daniela Gasperotti, Oriane Spinnler
Sozialraum – Barbara Emmenegger Soziologie und Raum | Barbara Emmenegger
Lärmschutz – soundcity | Andres Bosshard
Grünraumentwicklung – Green Infrastructure consultancy | Nathalie Baumann
Verkehr – ibv Hüsler | Luca Urbani

Projektbeschrieb

Offene Karten 

Zäsuren in der Landschaft, umgenutzte Industrierelikte, der junge Auenwald und die bewegte Geschichte am Flussufer erzählen vom Pioniergeist und dem Erfindungsreichtum bei der schrittweisen Eroberung dieses anspruchsvollen Terrains. Auf der durch die steilen Uferhänge von der Stadtebene entrückten Insel im Zentrum von Bern spiegelt sich die lange Tradition verschiedener lagespezifischer Nutzungen gegensätzlicher Lebenswelten.

Parallel zum sukzessiven Erwerb sämtlicher Arealgrundstücke durch die Stadt – vom ersten öffentlichen Bad an der Dalmazibrücke bis zur letzten Brache des ehemaligen Industriegeländes – verlief die Aneignung der Freiräume des Gaswerkareals durch die Bevölkerung in stürmischen Intervallen.

Die Vielschichtigkeit des Gaswerkareals mit seinen gewachsenen Qualitäten bildet das Potenzial und den Massstab für seine zukünftigen Entwicklungen. Das Gaswerkareal bleibt dabei ein Experimentierfeld, auf welchem sich immer wieder neue Konstellationen räumlicher und gesellschaftlicher Nutzungen etablieren.

Gaswerk für Alle

Die laufenden Umnutzungen zahlreicher Gewerbeareale zu Wohngebieten und die neuerschlossenen Quartiere Vierer-/Mittelfeld und Meinen-Areal entlasten die Stadt vom Wohnungsdruck. Dies eröffnet die Chance, den bereits etablierten Kultur- und Werkplatz im Gaswerkareal als innerstädtische Ergänzung zu den Gewerbezonen am Stadtrand zu erweitern.

Das Verhältnis von Wohnen und Arbeiten wird nicht festgeschrieben und bleibt über die Zeit veränderbar. Das Südareal wird bis auf weiteres mit temporären Nutzungen bespielt und bleibt der Stadt somit als Reserve für noch unbekannte Bedürfnisse erhalten.

Berner Mischung  

Auf dynamischen Koexistenzen aufbauen

Die Spuren der reichhaltigen Arealgeschichte bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte für die vorgesehenen Erweiterungen der unterschiedlichen Lebensräume. Das Raumgerüst baut auf den vorhandenen Raumqualitäten und Atmosphären auf. An diesem einzigartigen Ort wird dem Zusammenspiel von produzierendem Gewerbe, Wohnen, Freizeitnutzungen und Naturwerten bewusst Raum gegeben.

Orchestrierte Experimente weiterführen

Die komplexe Arealgeschichte verlangt eine sorgfältige Entwicklung, so dass Nutzungsformen weiterhin über Beteiligungsprozesse von Aneignung, Rückeroberung und Aushandlung gefunden werden. Die Stadt Bern koordiniert und begleitet gemeinsam mit Arealkoordination und Quartierzentrum diese Prozesse. Die Entwicklung orientiert sich an bereits bestehenden Nutzungsrhythmen von Tag und Nacht, Sommer und Winter.

Die Kontinuierliche Transformation unterstützen

Lebensräume aufeinander abstimmen - Auch die Entwicklungspflege der Habitate und Pflanzengesellschaften kann sich an übergeordneten Ordnungen orientieren: Die Gärten an der Sandrainstrasse an der Prunetalia (Schlehen-Gebüsche), die Veloachse und Sickerflächen der Wunschfabrik am Alnion (Grauerlen-Auenwald) und die Grün- und Sukzessionsflächen um die Zirkuswiese am Berberidion (wärmeliebende Berberitzen-Liguster-Gebüsche).

Mit dem neuen Alnion wird für den Waldbestand ein Rückgrat mit wechselfeuchten Standorten bis zur Brücke gezogen.

Verkehrsinfrastrukturen gezielt ergänzen

Die kompakte städtebauliche Entwicklung kann mit einer neuen Bushaltestelle an der Schnittstelle von Stadt- und Schwemmebene beim Brückenkopfensemble optimal erschlossen werden.

Adresssbildende Elemente wie der Gaswerkplatz und die Werkgasse hierarchisieren das hoch durchlässige Netz für den Fuss- Veloverkehr und verbessern die Orientierung. Der übergeordnete Veloverkehr wird konsequent am östlichen Rand der Entwicklung geführt, wobei der Gaskessel und der shared space im Viaduktraum direkt und effektiv erschlossen sind. In einer grosszügigen Velostation in der Mitte der neuen Entwicklung werden fast 1000 Abstellplätze, die flexibel und komfortabel von Bewohner*innen und Mitarbeitenden benutzt werden können, realisiert. Das Angebot wird von zahlreichen im Freiraum verteilten Abstellplätzen (inkl. Standplätze für Leihvelos), die auch von Besucher*innen spontan und unkompliziert benutzt werden können, ergänzt.

Die Autoabstellplätze für alle Nutzenden sind im bestehenden Parkhaus konzentriert. Eine neue unterirdische Anlage ist nicht vorgesehen. Die Zufahrt zum Areal ist auf drei Klein-Anlieferungs-Schlaufen beschränkt, welche auch die Anlieferungen sämtlicher Gewerbebetriebe gewährleisten. In der Portierloge am Gasometerplatz wird eine Paketstation integriert, um die Kleinanlieferungsfahrten im Areal zu bündeln.

Klangräume arealübergreifend komponieren

Der Klangraum wird durch die Anordnung neuer und bestehender Gebäude akustisch konturiert. Im Süden begleiten hörbare Abfolgen von leisen Naturgeräuschen, die von menschlichen Stimmen und beabsichtigter Kommunikation und Spiel bestimmten Zonen. Die urbanen Klangräume verdichten sich und werden schliesslich vom Verkehr der Hochbrücke dominiert. Unter der Brücke findet eine Umpolung statt, die wieder in akustisch offenere Zonen führt.

Die Anordnung der Funktionen folgt den akustischen Anforderungen damit laute und leise Akteur*innen nicht in Konflikt geraten.

Urbane Schnittstelle

Die Ergänzung der Ryff-Fabrik am Gaswerkplatz spielt mit dem südlichen Neubau am Brückenkopf als Ensemble zusammen und bildet den Abschluss der quer zur Montbijoubrücke stehenden Gebäudeserie im Sulgenbachtal. Die durch Aare und Sulgenbach geschaffene spezifische topografische Situation wird über das Brückenkopf-Ensemble akzentuiert. Dieses verfügt über eine öffentliche Ausstrahlung, die auf den gesamten Stadtraum wirkt. Stadt- und Schwemmebene sind über einen zusätzlichen Lift auf der südlichen Brückenseite verbunden. Im Brückenkopf-Ensemble sind die Angebote der Alltagsversorgung untergebracht. Zudem nimmt das Infrastrukturbauwerk alle Parkplätze der Wunschfabrik auf.

Unter der Brücke

Die gegebene Raumkontur unter der Montbijoubrücke wird zum zentralen Gaswerkplatz. Hier ist der Ankunfts- und Orientierungsort, von wo Brückenkopf, Ryff-Fabrik, Wunschfabrik und Parklandschaft miteinander verknüpft werden. Die imposante Brückenstruktur wird durch die Beleuchtung inszeniert. Am Boden zeichnet der helle Betonbelag sie nach. Flankierende Bauten, Baum-Pockets, Sitzstufen und Wasserspiegel reichern den Platz an und lassen gleichzeitig genügend Freiheit für eine offene Bespielung. Die Integrität und Sanierbarkeit der Monbijou-Brücke als Infrastrukturbau bleibt erhalten. Die Beach- und Festhalle als leichte Struktur unter der Brücke ist reversibel.

Experimentierfeld mit vier Dimensionen

Die Werkgasse ist eine Weiterführung der kleinräumigeren Gassenstruktur um die Ryff-Fabrik. Sie bezieht sich auf den Öffentlichkeitsgrad des gesamten Areals. Gut erreichbare, hohe Werkräume befinden sich in den unteren zwei Geschossen der Wunschfabrik. In den darüber liegenden nutzungsoffenen Hallengeschossen stehen beliebig unterteilbare Raumeinheiten sowohl für Hightech-Tüftler*innen, Handwerkstätten oder Kleinproduktionen, als auch für hallenartige Grosswohngemeinschaften und Ateliers oder für weitere Aktivitäten zur Verfügung. Die im Osten vorgelagerten Baumhäuser sind über Stege geschossweise direkt an das Erschliessungssystem angebunden und erweitern das Raumangebot.

Auf der Höhe der benachbarten Quartiere nehmen Wohnungen den im Norden und Süden von Strassen- und Nachtlärm geschützten mittleren Teil der Wunschfabrik ein. Es sind unterschiedliche Wohnmodelle möglich, die zusammen mit den Arbeits- und Freizeitangebote eine Nachbarschaft bilden. Die Kantine im Erdgeschoss ist Gemeinschaftsraum und Foyer in einem und knüpft die obenliegenden Wohnungen direkt an die Werkgasse an wo sich auch die Velohalle mit Werkstatt befindet.

Die offene Grundstruktur bildet ein Raumangebot für die verschiedenen Trägerschaften und Nutzungsideen, die sich in der Wunschfabrik realisieren lassen. Sie lässt Adaptionen für sich zukünftig veränderte Bedürfnisse zu. Die Erschliessungsstruktur ist so ausgebildet, dass in der Werkgasse, den Vorbereichen und auf den höher liegenden Decks gemeinschaftliche Treffpunkte entstehen und der Dialog gefördert wird.

Versprechen für die Zukunft

Woher wissen wir, welchen Bedürfnissen die offen gehaltene Entwicklung der Brache Gaswerk Süd künftig – für die nächsten Generationen – am besten dient? Wir können es nur erfahren, wenn wir ein schrittweises Vorgehen akzeptieren. Bis es so weit ist, übernimmt die Natur: Am Hangfuss der Kammmolch-Weiher, die als Lebensräume entwickelten Gärten an der Sandrainstrasse, die neuen Auen mit neu angelegten temporären Gewässern und Mulden im Wald und am Veloweg, Trampelpfade von und für neugierige Entdecker*innen. Zusätzlich dient die Brache Gaswerk Süd als einer von mehreren Standorten in der Region für zeitlich begrenzte Wohnexperimente. Eine lenkende Bewirtschaftung ermöglicht, dass die Balance zwischen Naturwerten, Wohnexperimenten und Offenheit im richtigen Mass erhalten bleibt.