20.08 / Ersatzneubau Wohnsiedlung Neuwiesen, Zürich-Schwamendingen
Direkt am Überlandpark nehmen drei schlanke, hohe Baukörper das nach Höhenlage differenzierte Wohnungsangebot auf und bilden die zurückhaltende Kulisse für die grünen Hauptprotagonisten in den grosszügigen Gärten zwischen den Zeilen.
Projektwettbewerb 2020
Planungsteam
Auftraggeberin – Baugenossenschaft Glattal Zürich (BGZ)
Architektur – op-arch | Sarah Weber, Laura Raggi, Felix Himmelreich, Norbert Pasko
Landschaftsarchitektur – Nipkow Landschaftsarchitektur
Bauingenieurwesen – Büro Thomas Boyle + Partner AG
HLKKSE – Sustainable System Solutions GmbH
Visualisierung – indievisual
Gartenstadt
In der Mitte des Überlandparks kommt mit der Verdichtung der Siedlung Neuwiesen der Garten zurück in die Stadt. Die im Gestaltungsplan angelegte Fortführung der Textur Schwamendingens wird auf dem Areal der Baugenossenschaft Glattal zugunsten des Freiraums interpretiert. Drei schlanke, hohe Baukörper nehmen den neuen Massstab des langen Infrastrukturbauwerks auf und reizen das übergeordnete Siedlungsmuster aus. Oberhalb des neuen Horizonts untermalen weite Durchblicke die ambitionierte Absicht, zwei getrennte Quartierteile über den langen, erhöhten Grünzug hinweg zu verbinden. Darunter entsteht, vor der grünen Kulisse des bepflanzten Bauwerks, ein geborgener Siedlungsraum. Das dreidimensionale Wegnetz knüpft an die zahlreichen Auf-, Ab- und Übergänge an, verweist auf die versteckte städtische Infrastruktur und schafft Übergänge zur unmittelbaren und weiteren Umgebung. An der Kreuzung von Überlandpark und Saatlenstrasse sind Überlagerungen von Quartier und Siedlung erwünscht.
Der nachbarschaftliche Alltag spielt sich in den ersten beiden Geschossen der drei fast identischen Zeilen ab. Von den Atelierwohnungen an der Verbindungsachse zwischen Schwamendingen und Oerlikon, über den Gemeinschaftsraum und multifunktional nutzbare zumietbare Zimmer im Zentrum der Siedlung, bis zum Kindergarten im Süden des Areals beziehen sich die Angebote im Erdgeschoss auf deren individuelle Lage. Durchlässigkeit und Intimität variieren im Zusammenspiel mit der Wegführung und der Anlage des Gartens. Hauseingänge, Fahrradinfrastruktur, und die Erschliessung des Untergeschosses fügen sich in das System direkter und indirekter Wege mit unterschiedlichem Öffentlichkeitsgrad ein.
Im ersten Obergeschoss sind Siedlungsbüro und Hauswarträume, Gästezimmer und die Waschküchen über Wendeltreppen und einen Laubengang direkt angebunden. Vorbereiche und Lauben bilden Übergangsräume zwischen dem Privatleben und dem Dasein in der Öffentlichkeit und schliessen dabei auch Wohnen nicht aus. Das ›Gartentor‹ zum Überlandpark befindet sich im zweiten Obergeschoss des mittleren Gebäudes. Die offene Terrasse bietet sich als Ort zum Ankommen oder als ›Beobachtungsposten‹ an. Ein unterschiedlich bespielbarer Raum mit minimaler Ausstattung ergänzt das Raumprogramm um eine zumietbare Gelegenheit für Zusammenkünfte im kleineren Rahmen.
Wie bei den Atelierwohnungen im Erdgeschoss handelt es sich bei den Laubengangwohnungen im ersten Obergeschoss um eine typologische Bereicherung innerhalb des im Raumprogramm geforderten Wohnungsangebots. Über den bodennahen Ebenen nehmen drei effizient organisierte Regelgeschosse den grössten Teil der Wohnungen auf. Die Gleichwertigkeit der Zimmer lässt es zu, die Wohnungen unterschiedlich zu bespielen. Wohnen und Essen kann sowohl ausschliesslich gegen Süden oder zweiseitig stattfinden. Gelebt wird in den Baumkronen mit Blick in die Weite. Duplexwohnungen nehmen die obersten zwei Geschosse ein, wodurch möglichst viele Bewohnerinnen und Bewohner in den Genuss der privilegierten Lage kommen. Das vielfältige Wohnungsangebot ist über alle Geschosse in den durch räumliche Ausnahmen angereicherten Zwei- und Dreispännern verteilt. Dem inklusiven Genossenschaftsgedanken entsprechend, zeichnet sich der Unterschied zwischen Standard- und ECO-Wohnungen weder in Lage und Typologie noch in der Erscheinung ab.
Wie ein Kleid umhüllt die Fassade aus Welleternit auf vorfabrizierten Holzelementen die oberen Geschosse. Durchlaufende Brüstungen gewährleisten die Intimität der Bewohnenden und eine gute Möblierbarkeit der Wohnungen auch in den Fassadenbereichen. Die programmatische Durchlässigkeit der unteren zwei Geschosse zeichnet sich in der offeneren Gestaltung deren Fassade ab. Die geschlossenen Bereiche der Stirnseiten sind pflanzenberankt. Selbstbewusst positionieren sich die drei Zeilen am Überlandpark als zurückhaltende Kulisse für die grünen Hauptprotagonisten und zeichnen die Siedlung Neuwiesen innerhalb des immer vielfältiger werdenden Portfolios der BGZ als eigenständige, der privilegierten Lage angemessene Siedlung aus.
Stadtgarten
Der Raum der neuen Kolonie Neuwiesen ist eingespannt zwischen dem bandartigen Überlandpark in Hochlage, der Überland- und Luegislandstrasse. Die Quartierverbindung Saatlenstrasse im Norden und der Shortcut im Süden verankern das Baufeld in der Reihe geplanter Neubauvorhaben, die das Quartier entlang der begehbaren Einhausung in Zukunft baulich verdichten und gleichzeitig aufwerten. Die Räume öffnende, aktuelle Quartierentwicklung und die historisch gewachsene Gartenstadttypologie von 1948 verstärken das Projekt mit einem übergeordnet zusammenhängenden, durchlässigen Grünraum, in den die Gebäude eingebettet sind.
Der zusammenhängende Grünraum eröffnet in der stark gerichteten städtebaulichen Situation eine flexible, durchlässige Raumstruktur mit eingelagerten Aufenthalts- und Spielbereichen. Die netzartige Struktur weist eine vielfältige Durchwegung auf, adressiert und verbindet die drei Baukörper.
Einer Zellstruktur mit unterschiedlicher Aufgabenverteilung nachempfunden, webt das Wegsystem ein Netz, das die Häuser untereinander verbindet und gleichzeitig das ganze Baufeld zu einem erkennbaren Ort entwickelt. Die Erdgeschosse mit Kindergarten, Atelierwohnungen und dienenden Nutzungen öffnen sich nahtlos zum Freiraum, in dessen hausnahen Strukturen ein Potential für spezifische Aneignung entsteht. Topografische Modellierungen mit üppiger Vegetation schaffen ein lebendiges Raumgefüge vielfältiger Ausprägung und Dimension. Der artenreiche Vegetationsteppich, die höher wachsenden Strauchformationen und die darüber hinausragenden Grosssträucher und Baumgruppen bilden ein räumliches Milieu, das auf der Stadtebene wie auch in der Blickbeziehung zwischen den Wohnungen eine Filterwirkung entfaltet und spannende Bildwelten mit Durchsichten und Blickachsen entstehen lässt.
Die Lage und Organisation der Tiefgarage erlaubt auf dem Grundstück einen grossen Anteil nicht unterbauten Terrains. Die Vegetationsstruktur mit grosskronigen Bäumen kann sich in Kombination mit den topografischen Bewegungen weitgehend frei entwickeln. Die einheimischen, artenreichen Pflanzengesellschaften weisen eine hohe Biodiversität auf und bilden im Zusammenhang mit dem Meteorwassermanagement und Versickerungsmulden in Bezug auf Trocken- und Feuchtstandorte eine grosse Bandbreite an spezifischen Pflanzenstandorten. Standortgerechte Bodenaufbauten und unterschiedliche Besonnungsverhältnisse stärken das Thema einer vielfältigen Stadtnatur.
Gemeinschaftliche Freiräume wie Plätze, Spielwiese, Kinderspiel, sowie Nutzgärten fügen sich auf natürliche Weise in die räumliche Netzstruktur der Freiraumsequenzen ein. Der Kindergartenfreiraum im Süden wird zum öffentlichen Weg hin durch eine verdichtete Vegetationsschicht gefasst und bleibt durch ein feingliedriges Weg-/Platz-System als zusammenhängender, gut besonnter Raum bespielbar und kann räumlich wie organisatorisch den Kindergruppen zugeordnet werden. Fruchtsträucher und essbare Pflanzen laden in der naturnah gestalteten Erlebnislandschaft zum Entdecken ein.
Die Oberflächen im Freiraum sind grössenteils versickerungsfähig angelegt. Die Haupterschliessungswege und bestimmte Platzbereiche sind in Hartbelag vorgesehen (z.B. Asphalt, Plattenbelag), die übrigen Zirkulations- und Aufenthaltsbereiche sind als Chaussierung angedacht. Die Entwässerung erfolgt über die Schulter und in begrünte Versickerungsmulden.
Tragwerk
Das Tragwerk in Skelettbauweise ist nachhaltig denn es lässt vieles offen für die Umgestaltung der Räume durch nachfolgende Generationen. Zudem passt das Skelett zum geplanten Montagebau in Betonelementen mit Deckenplatten getragen durch Spannbetonbinder und zwei Einzelstützen pro Balken. Ein Überbeton im Verbund mit den Deckenplatten und den Bindern erhöht ihre Biegesteifigkeit und bildet die aussteifende Deckenscheiben. Die aussteifenden Erschliessungskerne in Ortbeton können voraus betoniert werden. Der Laubengang im ersten Obergeschoss erfordert einen Versatz im Dämmperimeterverlauf. Die auskragenden Decken im Erd- und ersten Obergeschoss werden durch ein F-förmiges Element aus einer Stütze mit zwei vorgespannten Kragarmen getragen.
Über dem Tramtunnel wird das Untergeschoss als Brückenträger in Stahlbeton ausgebildet, mit verstärkten Aussenwänden als Stege im Verbund mit der Decke- und Bodenplatte. Grossbohrpfähle so nah wie möglich am Tunnelbauwerk erstellt, bilden die Brückenlager.
Haustechnik- und Energiekonzept
Die vorgesehenen Gebäudetechnik- und Energiesysteme sind konsequent auf Nachhaltigkeit, Lebenszykluskosten und Nutzerkomfort ausgerichtet. Sie ermöglichen einen energieeffizienten Betrieb, reduzieren Unterhaltskosten auf ein Minimum und werden den Komfortansprüchen der künftigen Bewohnerinnen und Bewohner gerecht. Erreicht wird dies durch schlanke und robuste Technik, welche die Investitionskosten und die graue Energie tief halten. Diese auf das wesentliche reduzierten Installationen werden so ins Gebäude integriert, dass sie gut zugänglich bleiben und somit auch einfach zu warten sind.
Die Wärmeversorgung erfolgt über den bereits bestehenden Fernwärmeanschluss. Dieses System beeinflusst die Umweltbilanz des Baus auf doppelte Weise positiv: Einerseits ist der bezogene Energiemix sehr ökologisch, andererseits sind keine aufwändigen Installationen nötig, welche die Grauenergiebilanz negativ beeinflussen. Die Wärmeabgabe erfolgt über ein ressourcensparendes Niedertemperatur-Radiatorensystem, das mit den vom Fernwärmenetz gelieferten Temperaturen problemlos betrieben werden kann.
Es ist eine Hauptübergabestation für die Siedlung vorgesehen, sowie eine Warmwasseraufbereitung pro Gebäudezeile. Durch optimierte Leitungsführung und schlank geführten Steigzonen können die Wege zwischen Verbraucher und Erzeuger kurz gehalten werden. Um den Warmwasserverbrauch zu reduzieren, sind zudem Joulia-Duschrinnen vorgesehen, welche den Energiebedarf im Duschbetrieb um ca. 40% reduzieren können, ohne dass eine Komforteinbusse entsteht. Diese dezentrale Wärmerückgewinnung (WRG) im Warmwasser überzeugt sowohl finanziell als auch ökologisch, und erleichtert es zudem, die Minergie-Anforderungen zu erfüllen, da die WRG für die Minergie-Kennzahl angerechnet werden kann.
Ein zentrales Element im Energiekonzept sind die Photovoltaik-Module auf den Dächern. Durch sorgfältige Auslegung und Anordnung kann die geplante Anlage einen guten Teil des Jahresstrombedarfs der Gebäude mit Solarenergie decken. Dennoch muss nicht auf eine Begrünung der mit PV-Modulen belegten Dächer verzichtet werden: Durch eine spezielle Gründachaufständerung können die Dachflächen dennoch bepflanzt werden, womit ein Beitrag zur Eindämmung der sommerlichen Hitze, der Erhöhung der Biodiversität und der Retention von Regenwasser geleistet werden kann.
Das geplante Lüftungssystem kommt durch Kaskadierung mit minimaler Kanalführung in den Wohnungen aus. Die Zu- und Abluft wird direkt entlang den Steigzonen eingebracht bzw. abgezogen, womit komplett auf abgehängte Decken verzichtet werden kann. Durch die Platzierung der Lüftungsgeräte auf dem Dach kann der Materialverbrauch für die Lüftungskanäle weiter reduziert werden. Zusätzlich können die von Ost nach West durchgehenden Wohnungen problemlos per Stosslüftung gelüftet werden, was auch eine effiziente Nachtauskühlung möglich macht.
Wirtschaftlichkeit
Das Verhältnis von Geschossflächen zu Gebäudevolumen wurde durch die Konzeption kompakter Baukörper und Untergeschosse, die Minimierung der über- und unterbauten Flächen und den weitgehenden Verzicht auf Versätze im Dämmperimeter optimiert. Verkehrs- und Infrastrukturen wurden soweit wie möglich minimiert und optimal auf das effiziente Tragwerk abgestimmt. Kurze Spannweiten und Vorfabrikation, der hohe Repetitionsgrad, identische Nasszellen und konsequent übereinanderliegende Schächte garantieren sowohl eine optimierte Planungs- und Erstellungszeit als auch die langfristige Adaptierbarkeit der Gebäude.
Obwohl sich die Wohnungsgrössen im unteren Bereich der einzuhaltenden Bandbreite befinden, erscheinen die gut belichteten Räume grosszügig. Kurze Wege, die zweiseitige Ausrichtung aller Wohnungen und nutzungsneutrale Zimmer bereichern die knapp geschnittenen Grundrisse.
Bewährte Konstruktionen und der Einsatz von langlebigem Material, das den Minergie-Eco-Anforderungen genügt sowie die naturnahe Gartengestaltung mit unterhaltsarmen, sich selbst regulierenden Pflanzengesellschaften leisten genauso ihren Beitrag zu den tiefen Lebenszykluskosten wie die auf das Wesentliche reduzierten gebäudetechnischen Installationen.