Skip to main content

20.09 / Wohn- und Geschäftshaus Seestrasse, Zürich

Studienauftrag 2020

Planungsteam
Auftraggeberin – Swisscanto Invest, Zürcher Kantonalbank
Architektur – op-arch | Sarah Weber, Jasmin Kunst
Landschaftsarchitektur – Nipkow Landschaftsarchitektur
Bauingenieurwesen – Büro Thomas Boyle + Partner AG
HLKKSE – Sustainable System Solutions GmbH
Visualisierung – indievisual

Projektbeschrieb

Zwischen Peripherie und historischem Zentrum 

Wo sich die lose nebeneinander liegenden, stadtauswärts führenden Stränge Mythenquai, Eisenbahn, See- und Albisstrasse berühren, kreuzen und ineinander übergehen, überspielt das urbane Wohnhaus die Unbestimmtheit der über die Jahre verwischten Stadtrandphänomene. Die anspruchsvolle baurechtliche Ausgangslage in raumgreifende Plastizität übersetzend, gliedert sich das Stadthaus in die Sequenz sehr unterschiedlicher strassenzugewandter Gebäude ein und nimmt deren Massstäblichkeit auf. Seine stille Präsenz verleiht dem Wohnen an dieser exponierten Lage zwischen verschwindender Industrie und nahem Ortszentrum eine überraschende Selbstverständlichkeit.

In seiner Volumetrie sowohl der ehemaligen Rechenmaschinenfabrik auf der gegenüberliegenden Strassenseite als auch den benachbarten Geschäftshäusern im Norden durchaus ebenbürtig, verweist die differenzierte Ausgestaltung der Fassade auf die Wohnnutzung. Räumliche Bezüge suchend oder vermeidend richtet sich das Haus zur adressgebenden Strasse und über die Geleise hinweg zum Mythenquai aus und tritt seiner Lage entsprechend allseitig in einen Dialog mit dem Stadtraum. 

Das Haus als Teil der Stadt

Im Vorgarten verwischen sich Privatheit und Öffentlichkeit. Der offen zugängliche Raum markiert den Übergang vom Stadtraum zum Haus und nimmt Aufenthaltsorte im Freien auf. Zur Strasse hin orientierte Hauszugänge laden zum Betreten des Stadthauses ein, wobei sich die Wege bereits vor dem Durchschreiten der ersten Türe trennen. Das städtische Wegnetz wird im Gebäudeinneren weitergeführt. Der Topografie folgend erstreckt sich das Erdgeschoss über zwei Niveaus.

Die innere Gasse auf der unteren Erdgeschossebene erschliesst die Patiowohnungen, ist interne Verbindung und Abkürzung. Über vier Vertikalerschliessung sind alle Wohnungen an diese innere Gasse angebunden. Sie ermöglicht den Zugang zur Gemeinschaftsterrasse im Attikageschoss und zum südlichen Garten. Ausgestattet mit einer einfachen Bar für die unverbindliche Hausgemeinschaft ist sie ebenfalls Ort für flüchtige Begegnungen, den Aufenthalt während der Mittagspause oder das Billardspiel am Abend.

Visuelle und begehbare Freiräume

Die städtebauliche Verdichtung der Situation zwischen Seestrasse und Geleisestrang SBB erfordert eine neue Agenda des Aussenraums für Wohnen und Gewerbe. Die freiräumlichen Qualitäten müssen spezifisch verortet und auch in den Baukörper hinein verlagert werden. Daraus ergeben sich drei wesentlich Freiraumtypen.

Die Adressierung an der Seestrasse erfolgt über einen langgezogenen Gartenhof. Dieser ist von einer niedrigen Mauer mit Zaun und Hecke gefasst und nimmt das typische Quartierthema der Villengärten auf. Die hainartige Durchgrünung mit aufgeschnittenen Grosssträuchern erstreckt sich auf die ganze Länge und nimmt die Nutzungen des Restraurationsbetriebes und den Vorbereich der Gewerberäumlichkeiten auf. Der intergrieterSpielplatz dient dem ganzen Gebäude.

 

Seeseitig erfolgt ein durchgehender Partioabschluss zu den Geleisen. Die Wohnateliers verfügen über einen privaten Aussenraum. Er ist im Wesentlichen chaussiert, mit Strauchgruppen bestückt und baulich nicht unterteilt, um eine Atmosphäre der geborgenen Offenheit zu gewährleisten. Die höhere Patiomauer ist mit Schlingpflanzen begrünt. 

Drei zentrale, grössere Innenhöfe im Gebäudekern bieten der Wohnwelt einen paradiesischen Ausblick ins Grüne. Dschungelartig bepflanzt, zeigt sich ein Mikrokosmos grosser Artenvielfalt. Ausgewählte Blattformen erzeugen eine vielgestaltige Bildhaftigkeit, Farbtöne in unterschiedlichem Grün und Blütenstände in duftender Pracht verströmen ein Klima der persönlichen Identifikation. 

Das Meteorwassermanagement der Gebäude ist auf die Bewässerung der ökologisch wertvollen Höfe ausgerichtet. Drei hohe Lichthöfe bilden gegen Westen das Pendant dieser sorgfältig gestalteten Innenwelt. Sie sind mit hochwachsenden Schlingpflanzen versehen und reflektieren Licht- und Schattenmuster in die Räumlichkeiten.

Der städtische Pocketpark im Süden ist konzeptionell mit dem Baukörper verbunden und bildet den Anschlusspunkt für die Fussgänger zum See. Im Norden erschliesst ein mit dem Nachbargebäude gebildeter, städtischer Hofraum die Tiefgarage. 

Lärmschutznachweis, Beurteilung Baurecht 

Die innere Welt

Die Wohnungsgrundrisse spielen die besondere Lage zwischen urbanem Stadtraum und Hofgarten aus. Küchen und Nasszellen gliedern die frei zonierbaren Raumsequenzen mit mehreren Ausrichtungen in individuell nutzbare Raumkammern, die Balkone erweitern den Wohnraum in den Hof. Die abnehmende Gebäudetiefe führt zu unterschiedlichen Wohnungsgrössen bei gleicher Zimmeranzahl. Während sich in den Regelgeschossen hauptsächlich Zwei- und Dreizimmerwohnungen befinden, führt der sich nach oben hin auflösende Gebäudekörper zu lagespezifischen Wohnungsvariationen. Dem abfallenden Terrain folgend nimmt die Nordost-Ecke zweigeschossige Wohnungen mit drei oder vier Zimmern auf. Entlang der Seestrasse reagieren über private Terrassen erschlossene Attikawohnungen mit vier oder fünf Zimmern auf die Modulationen des gewachsenen Terrains. Und die Zweizimmer-Patiowohnungen im Erdgeschoss variieren das Thema der Zweiseitigkeit über den zur inneren Gasse ausgerichteten Küchenraum, der sich zwischen den beiden gartenzugewandten Zimmern befindet.

Gebäudegeometrie und inneres Regelwerk führen zu sehr unterschiedlich bespielbaren Lebensräumen wobei die konkrete Situierung der Wohnung innerhalb des Gebäudes für deren individuelle Qualitäten entscheidend ist. 

Tragwerk und Fassade

Aufgrund der anspruchsvollen Gebäudegeometrie und den allseitig hohen Lärmbelastungen fällt die Wahl für das Tragwerk auf Stahlbeton. Flachdecken werden von Beton- oder Mauerwerksscheiben entlang den Fassaden und den Wohnungstrennwänden und Treppenhäusern im Innern getragen. Längs- und Querwände in Stahlbeton, im Bereich des Treppenhauses, übernehmen zusätzlich die Gebäudeaussteifung und Erdbebensicherheit (siehe Diagramm).

Die äussere Gebäudehülle ist selbstragend, mit Lehmbausteinen (terrabloc) weiss geschlämmt. Im Deckenstirnbereich werden die Mauerwerksscheiben rückverankert. Sturz- und Brüstungselemente sind aus vorfabrizierten Betonelementen. Bei den grossen Spannweiten und den Eckfenstern werden die Lasten mit aussenliegenden Hohlstahlprofilen vertikal abgetragen.

Ökologisch optimiertes Gesamtenergiekonzept mit schlanker Haustechnik

Um einen hohen Nachhaltigkeitsstandart zu erreichen, wird für die Liegenschaft an der Seestrasse 355-361 auf ein schlankes Haustechnikkonzept gesetzt. Dies spart neben grauen Emissionen auch Betriebsenergie und Unterhaltkosten. Die benötigte Energie für den Betrieb soll zudem zu grossen Teilen aus lokalen, erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden.

Die Energie für die Wärmeversorgung des Areals wird aus Seewasser gewonnen, indem die Liegenschaft den geplanten Seewasserverbund Manegg angeschlossen wird. Diese Lösung ermöglicht einen günstigen, unterhaltsarmen und einfachen Betrieb mit geringen CO2-Emmisionen. Wärme aus Seewasser zu gewinnen ist ausserdem überaus nachhaltig, da der See ein riesiges Reservoir an erneuerbarer Energie zur Verfügung stellt, dass selbst bei starker Nutzung seine Temperatur nicht relevant verändert. Falls der Seewasserverbund nicht zustande kommen sollte, kann die Wärme auch mit Erdwärmesonden gewonnen werden, wobei auch diese Lösung äusserst nachhaltig abschneidet und durch hohe Effizienz sowie geringe Betriebskosten punktet.

Die Wärmeabgabe ist über Fussbodenheizungen vorgesehen. Dieses System weist zwar höhere Investitionskosten auf als eine Wärmeabgabe mit Radiatoren, doch die Vorteile überwiegen: Durch tiefe Vorlauftemperaturen können Verluste minimiert und die Effizienz erhöht werden, und das Gebäude ist optimal ausgelegt für die niedrigen Vorlauftemperaturen des Seewasserwärmeverbundes.

Das zweite Standbein der Energieversorgung stellen die Photovoltaik-Module auf dem Dach dar. Mit optimierter Anordnung können über 600 m2 Modulfläche verlegt werden, womit ca. zwei Drittel des gesamten Strombedarfs für die Wohnungen gedeckt werden kann. Durch eine geschickte Steuerung in Kombination mit Speichermöglichkeiten durch Ladestationen für Elektrofahrzeuge und aufgrund der vielen lokalen Abnehmer (Gewerbeflächen im EG sowie Wohnflächen) kann ein sehr hoher Eigenverbrauch erreicht werden.

Zur Frischluftversorgung wird gezielt auf Fensterlüftung gesetzt, um den benötigten Platz zu minimieren und Graue sowie Betriebesenergie zu reduzieren. In gefangenen Nasszellen und in den Küchen wird die Abluft abgesogen, womit Feuchtigkeits- und Geruchsproblemen vorgebeugt wird. Die Steigzonen sind so angeordnet und die Grundrisse sind so optimiert, dass die Abluft direkt in die Steigzonen geführt werden kann.