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24.13 / Güterbahnhof Areal Wolf, Neubau MF03, Basel-Stadt

Projektwettbewerb 2024, 2. Rang / 2. Preis

Planungsteam
Auftraggeber – SBB AG, Immobilien Development Anlageobjekte Mitte
Architektur – op-arch, Zürich und BETA office for architecture and the city, Amsterdam
Bauingenieur – Büro Thomas Boyle + Partner AG, Zürich
Elektroplanung – Schäfer Partner AG, Lenzburg
HLKKS-Ingenieur – Böni Gebäudetechnik AG, Oberentfelden
Brandschutz - SiQS Brandschutz, Schaffhausen
Bauphysik und Akustik – Bakus Bauphysik und Akustik AG, Basel
Nachhaltigkeit – Lemon Consult AG, Zürich
Visualisierung - Filippo Bolognese Images

Projektbeschrieb

Small Pleasures of Life

Unser Vorschlag verbindet das Erbe des ehemaligen Güterbahnhofs Wolf mit einem pragmatischen räumlichen Rahmen, der ein erschwingliches, effizientes, hochwertiges Wohnen in Verbindung mit einem kollektiven und öffentlichen Programm ermöglicht. So entstehen Räume, in denen sich die Menschen entfalten und langfristig in Gemeinschaft entwickeln können. In Anerkennung der Notwendigkeit einer schrittweisen Entwicklung des Areals unterstützt das Gebäude den Wandel in einer aufstrebenden Urbanität und ermöglicht es dem Gebiet, sich im Laufe der Zeit organisch anzupassen und zu entwickeln.

Die Anforderungen der Umgebung werden als Chance begriffen, und diese Herausforderungen werden in eine spezifische und ausdrucksstarke Architektur umgesetzt. Lebendige Fassaden schaffen eine dynamische Interaktion zwischen den Bewohnern und der Umgebung. Der Entwurf zelebriert die Vielfalt und bietet Raum für Flora und Fauna, wird zum Lebensraum von Menschen jeden Alters und jeder Herkunft.

Um den modernen Energieanforderungen gerecht zu werden, integriert der Entwurf nachhaltige Systeme wie erneuerbare Energien und räumt dem Langsamverkehr Vorrang ein, so dass dieser sich nahtlos in das alltäglich Leben einfügt. Der von der Logistik inspirierte Ansatz ist pragmatisch, konzentriert sich allerdings auf die Schaffung von Räumen, in denen die Bewohner die kleinen Freuden genießen können, die das Leben letztlich so lebenswert machen.

Architektur im Zeichen des logistischen Erbes

Die Bedingungen des Grundstücks führen zu einem Gebäude mit zwei unterschiedlichen Seiten. Der Charakter der Nordfassade ist hermetisch geschlossen und glatt. Die Wiederverwendung von Blechen für die Brüstungsbänder vermittelt hier ein urbanes Leben zur Stadt hin. Obwohl völlig hermetisch und abgeschlossen, zeigen die transparenten Teile der Fassade Treppenhäuser, Küchen und Arbeitsnischen. Sie geben so der Stadt ein lebendiges Gesicht. Im Erdgeschoss wird die Nordfassade zugänglich und führt einen dem Menschen gerechten Massstab ein: Hier gehen Leute ein und aus.

Die Südfassade kontrastiert mit einem mehrschichtigen architektonischen Ansatz, der Luft und Licht in das Gebäude einlässt. Loggien und kleine Pflanzgärten entlang der Fassade nehmen eine Beziehung zum Aussenraum auf. Hier bieten sich Möglichkeiten für Gartenarbeit und Energiegewinnung. Damit wird den Zielen des nachhaltigen Wohnens entsprochen. Die Einrichtungen im Erdgeschoss, wie z. B. kollektive Waschküchen und anpassungsfähige Atelierräume bieten die notwendige Flexibilität, um einerseits die gegenwärtigen Bedürfnisse der Bewohner:innen zu erfüllen, und um andererseits zukünftig in öffentlich nutzbare Räume umgewandelt zu werden.

Die Passage spielt eine zentrale Rolle in dem Projekt: Ihr kommt durch öffentliche Funktionen, Coworking Spaces und über ihren Zugang zum Hof eine spezielle Bedeutung zu. Ausserdem zeichnet sie sich durch ihre unkonventionelle Materialisierung aus. Diese Entwurfsentscheidung ermöglicht wiederum kreatives Upcycling, verbessert die Schallabsorption und setzt einen deutlichen Akzent, indem die Passage funktional und auch sehr einladend ist.

Soziales Wohlbefinden im Archipel

So bestimmend und faszinierend die räumlichen Voraussetzungen sind, so herausfordernd ist der soziale Aspekt der Domestizierung des Güterbahnhofs Wolf. Die ersten Gebäude sind Wegbereiter einer zukünftigen bestimmten Entwicklung: Sie sollen in der Lage sein, einer sich neu formierenden Gemeinschaft von Bewohner:innen ein Zuhause zu bieten. Die Beziehung zwischen den Gebäuden und dem Innenhof ist nicht nur räumlich, sondern vorallem auch sozial relevant. Wir schlagen daher eine Gebäudestruktur vor, die der sich zukünftig entwickelnden Urbanität Rechnung trägt, und Sicherheit, Selbstbestimmung und die Geschützten Bedürfnisse (GB) ermöglicht.

 

A. Orientierung an der Lebensqualität

Vision (Projektperimeter)

Im Güterbahnhof Wolf hat uns das Prinzip der Geschützten Bedürfnisse (GB) angeleitet, Räume zu schaffen, in denen sich Menschen persönlich und sozial entfalten können. Wir schlagen dafür einen flexible Struktur vor, die fähig ist, sich mit verändernden Bedürfnissen zu entwickeln. Da wir wissen, dass das städtische Leben dynamisch ist, stellen wir sicher, dass die Architektur das persönliche Wachstum, die Zusammengehörigkeit der Gemeinschaft und die wichtige langfristige Anpassungsfähigkeit der Nutzungen unterstützt.

Wir setzen die Geschützten Bedürfnisse auf drei Ebenen um: Als Erstes wird der Eingang des Areals zum urbanen Knotenpunkt, der den Langsamverkehr, den öffentlichen Raum und hybride Nutzungen integriert. Dieser Schwellenraum ist einladender Empfang, der Begegnungen zulässt und ein Gefühl gemeinsamer Zugehörigkeit vermittelt.

Als Zweites wird das Erdgeschoss strukturell flexibel geplant. Es beherbergt zunächst Ateliers und Waschküchen, Räume, die im Laufe der Zeit verschiedene städtische Funktionen übernehmen können: Werkstätten, kleine Unternehmen, oder in Zukunft sogar öffentliche Nutzungen.

Als Drittes umfassen die Wohneinheiten  Arbeitsnischen und zumietbare Räume. Familien benötigen vielleicht eine weitere Schlafgelegenheit, Berufstätige ein Homeoffice und Kreative ein Atelier. Anstelle eines Umzugs, bietet das Gebäude diese Möglichkeiten, fördert langfristiges Wohnen und stärkt so soziale Bindungen.

Räume, die oft als reine Durchgangszonen verstanden werden - Eingänge, Treppenhäuser und Waschküchen - sind hier für informelle Kontakte konzipiert. Materialien, Beleuchtung und räumliche Organisation machen diese Zonen zu Orten, wo sich Nachbarn und Nachbarinnen austauschen und alltägliche Momente miteinander teilen können. Dieser sorgfältige Ansatz stellt sicher, dass Privatsphäre und Nachbarschaft koexistieren können, und dass die Lebensqualität so verbessert wird. Das Gebäude kommuniziert einerseits Schutz, gleichzeitig aber auch städtisches Engagement. Auf der Nordseite ist die hermetische Fassade eine schützende Schicht, während die Treppenhäuser, Küchen, Büronischen, Coworking Spaces und die Eingänge im Erdgeschoss Aktivität und menschliche Präsenz vermitteln. Zum Erdgeschoss hin gewinnt die Fassade an Tiefe und an Plastizität. Die unterschiedliche Fassadengestaltung beim Durchgang markiert das Cluster kleinerer Wohnungen und zumietbarer Räume. Das Erdgeschoss dieses Abschnittes ist durch einen grossen Raum gekennzeichnet, der ein öffentliches Programm aufnimmt.

Die Südfassade vermittelt Offenheit, Grosszügigkeit und verbindet sich mit dem blau-grünen Charakter des Innenhofs. Waschküche, Ateliers, Balkone und Gärten fördern Geselligkeit, Entspannung und den Kontakt mit der Natur. Tiefe Balkone, in die Fassade integrierte individuelle Vorgärten und PV-Paneele zeugen von Komfort und Nachhaltigkeit.

Die Waschküchen im Erdgeschoss bei den südseitigen Zugängen sind soziale Treffpunkte. Sie haben einen direkten Bezug zum Aussenraum des Hofs und können auch für kleine Versammlungen oder andere Aktivitäten genutzt werden. Beim Durchgang befindet sich im Erdgeschoss eine Gastronutzung. Angebunden sind Gemeinschaftsraum und Bastelraum, welche den Austausch und die Vertrautheit unter den Nachbarn fördern. Angrenzend an diese Kollektivräume befindet sich im Erdgeschoss ein Wintergarten, darüber die Coworking Spaces und die zumietbaren Räume. Auch befinden sich in diesem Teil des Baukörpers die kleineren Wohnungen.

Beziehung zum Ganzen (Beobachtungsperimeter)

Unser Projekt fügt sich in die übergreifende Vision des Wolfareals ein, indem es dessen logistische Vergangenheit mit den Prioritäten der Gegenwart pragmatisch und richtungsweisend verbindet. Ein Schlüsselmoment ist die grosse Öffnung zum Hof. Diesem Ort wird wie bereits erwähnt durch die Fassadengestaltung und die öffentliche Nutzung eine besondere Bedeutung beigemessen: Als Zugang in das Areal und als Begegnungszone entsteht eine sinnvolle Interaktionslandschaft.

Mit diesem Zugang wir eine unmittelbare urbane Präsenz für das Areal geschaffen. Durch die Anordnung öffentlichkeitsorientierter Funktionen entlang der Hofseite laden wir die Menschen zum Verweilen, zur Begegnung und zur Teilnahme am gemeinschaftlichen Leben ein. Diese Haltung soll andere Projekte dazu ermutigen, ein ähnliches städtisches Umfeld zu schaffen, in dem sich die Gebäude gegenseitig in ihren Funktionen unterstützen und eine auf den Menschen ausgerichtete Umgebung anbieten.

Das Schaffen von “Möglichkeitsräumen” fördert informelle Aktivitäten und unterstützt persönliche Initiativen. Ein freier Raum kann zu einer Werkstatt, einem ruhigen Arbeitsbereich, einem Spielzimmer oder zu einem Ort für Ausstellungen werden. Eine solche Entwicklung fördert Eigenverantwortung und kollektive Kreativität. Anstatt den Raum passiv zu nutzen, gestalten die Bewohner ihre Umgebung und bauen so eine Kultur der Beteiligung auf.

In diesem Sinne spiegelt die Beziehung des Gebäudes zum Areal das Wesen der Geschützten Bedürfnisse wider: Das Haus bietet einen Rahmen, in dem der Einzelne seine Lebensart in einem städtischen Kontext mitbestimmen kann. Anstatt eine Lebensweise zu bestimmen, präsentieren wir eine Struktur, die sich den veränderlichen Lebensumständen von Menschen anpasst. Das Gebäude wird Teil eines kontinuierlichen Dialoges zwischen Bewohnern, Nachbarn und der Stadt als Ganzes.

Lebensqualität entsteht hier ungezwungen, “wie von selbst". Das Gebäude und seine Umgebung bilden ein Ökosystem, in dem der Einzelne eigenen Raum findet, und in dem Gemeinschaften durch kollektive Tätigkeiten gestärkt werden. So bleibt das städtische Gefüge lebendig und beweglich. Das Projekt reflektiert die geschützten Bedürfnisse seiner Nutzer und stellt sicher, dass der ehemalige Güterbahnhof Wolf sein Erbe ehrt und gleichzeitig auch auf die Zukunft verweist; ein Umfeld, in dem Menschen und Orte sich gegenseitig auf positive, sich entwickelnde Weise bereichern.

B. Beitrag zur Befriedigung von Schutzbedürfnissen

Standort 1: Der Kollektive Hub

Der Kollektive Hub steht als lebendiger urbaner Treffpunkt und als Haupteingang zum westlichen Wohngebiet Güterbahnhof Wolf. Er bietet eine Anzahl verschiedener Funktionen und Nutzungen an und ist damit ein einladender Ankunftsort, der es dem Einzelnen erlaubt, seinen individuellen Tagesablauf zu gestalten (GB2). Dieses multifunktionale Zentrum umfasst den Zugang zum Velo-Parking, der die Mobilität für alle Nutzer zugänglich, sicher und angenehm macht. Neben dem Eingang befindet sich ein  Gastro Angebot, das öffentliche Aktivitäten fördert und die Verbindung und Interaktion zwischen Bewohner:innen und Besucher:innen unterstützt (GB7).

Das Zentrum verfügt auch über einen Bastelraum und über einen kollektiven Bereich mit flexiblem Nutzungspotenzial, so dass dieser sich im Laufe der Zeit an die sich wandelnden gesellschaftlichen Bedürfnisse und Interessen der Bewohner:innen anpassen kann (GB8). Zur stark befahrenen Sankt-Johann-Strasse hin schützt der Wintergarten als dichtes grünes Volumen im Erdgeschoss. In den darüberliegenden Geschossen sind es die Coworking-Spaces und die zumietbaren Räume, die als Puffer für das Wohnen dienen. Der Kollektive Hub trägt als Eingangs- und Aktivitätsraum entscheidend zur einladenden Atmosphäre bei. Er unterstützt das physische und soziale Wohlbefinden seiner Nutzer und trägt zur Selbstbestimmung bei.

Standort 2: Das variable Erdgeschoss

Mit doppelgeschossigen Atelierwohnungen an der Südfassade bietet das variable Erdgeschoss öffentliche und private Bereiche an, die räumlich ineinander verwebt sind. Die Erdgeschosse, die unabhängig von den darüberliegenden Wohneinheiten funktionieren können, ermöglichen anpassungsfähige Nutzungszuordnungen, die den Selbstausdruck und das Engagement für die Gemeinschaft fördern (GB4/GB5). Diese Ateliers können als Arbeitsräume, als kreative Zentren oder als Orte für kollektive Aktivitäten dienen. Sie leisten einen wertvollen Beitrag zum persönlichen und gemeinschaftlichen Leben (GB6).

Die doppelgeschossigen Wohneingänge an der Nordfassade stehen für einen urbanen Ausdruck, während die Südfassade mit Waschküchen, Außenbereichen und Atelierräumen eine lebendige, halböffentliche Zone bildet. Diese Ausgangslage ermöglicht es den Bewohner:innen, den Innenhof selbst zu gestalten und zu bestimmen. In diesem Kontext wird eine gemeinsame aber dennoch individuell gestaltete Umgebung möglich, in der sich Arbeit, Freizeit und Wohnen verbinden.

Das variable Erdgeschoss ist so konzipiert, dass es sich zukünftig weiterentwickeln kann. Die Räume im Erdgeschoss können je nach ändernden städtischen Bedürfnissen in öffentlichere Funktionen umgewandelt werden. So wird sichergestellt, dass das Gebäude aktiv bleibt und auf die Gemeinschaft reagieren kann. In Kombination von Anpassungsfähigkeit und nutzerzentriertem Ansatz unterstützt das Erdgeschoss unterschiedliche Lebensstile und fördert das Gefühl der Zugehörigkeit in einem dynamischen, sich verändernden städtischen Umfeld.

Standort 3: Das offene Haus

Das offene Haus stellt im Zusammenhang mit den herausfordernden Umgebungseinflüssen das Wohlbefinden in den Vordergrund: reichlich Tageslicht, großzügige Außenbereiche und ein angenehmes Hofgrün-Klima. Die zusätzliche Fassadenebene mit großen Pflanzgefäßen ermöglicht es den Bewohner:innen, ihre Umgebung individuell zu bewirtschaften und ihren Vorlieben für Gärten, Blumen und Urban-Farming nachzugehen (GB3). Dieser “grüne” Ansatz verwandelt die Südfassade in ein lebendiges Mosaik des persönlichen Ausdrucks.

Die Wohnungen selbst sind auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ausgelegt. Die Arbeitsnische an der Nordfassade ist jeweils gleichzeitig funktionaler Bereich für Arbeit, Hobbys oder Entspannung und bietet so einen Mehrwert ohne die räumliche Effizienz zu beeinträchtigen (GB5). Die größeren Wohnungen verfügen über Mehrzweckabstellräume neben dem Aufzug. Sie sind Schwellenräume zwischen dem Treppenhaus und der Wohnung. Kleinere Einheiten in unmittelbarer Nähe der Coworking Zonen bieten den Bewohner:innen Zugang zu weiteren Gemeinschaftsräumen.

Ein Markenzeichen vom offenen Haus ist seine Vielseitigkeit. Wohnzimmer lassen sich mit einfachen Vorhängen in Gästeschlafzimmer umwandeln und bieten so anpassungsfähige Lösungen für wechselnde Bedürfnisse (GB5). Durch die Unterstützung unterschiedlicher Lebensstile und durch die Förderung der Selbstbestimmung verkörpert das offene Haus die Prinzipien der Geschützten Bedürfnisse und stellt sicher, dass sich die Bewohner in einem gepflegten und auf sie eingehenden Wohnumfeld wohl fühlen.